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Sin City 2: A Dame To Kill For

Die Comic-Szene soll mal einer verstehen! Einerseits wurden über Jahrzehnte Antihelden aufgebaut, Magazine für Nerds gezeichnet und Heldengeschichten von und für Außenseiter entwickelt. Zwar wurden dafür bereits in den ersten Hochzeiten der 30er und 40er Jahre Millionen kassiert, aber was seit zehn Jahren speziell bei Marvel Enterprises und DC Entertainment abgeht, ist einfach nur verrückt. Pro Jahr erscheinen jeweils mindestens vier neue Comic-Verfilmungen, davon zwei Fortsetzungen sowie zwei wilde Ableger mit Superhelden in diversen Konstellationen, dazu jeweils noch Computerspiele, Merchandise-Artikel und sonstige Rechtevermarktung. Ein Multimilliardengeschäft!

Noch erschreckender dabei: Geschichten und Figuren bleiben völlig auf der Strecke, Charaktere werden nicht mehr aufgebaut, sondern nur noch neu verwurstet und alle Filme sind eine Mischung aus langweilig, vorhersehbar und vollkommen überflüssig. Batman, Superman, Hulk und Spiderman sind nur noch gewöhnliche Superstars, die alljährlich die Kassen vollspülen müssen.

Wenn man so will, sind Frank Miller und Robert Rodriguez mit ihrer “Sin City”-Reihe die Retter der Comic-Verfilmungen. Natürlich war der erste Teil im Jahr 2005 auch ein kapitalistischer Erfolg, aber die Herangehensweise bei “Sin City 2: A Dame To Kill For” eine andere: Der Fokus liegt weniger auf den zahlreich vorhandenen Stars und dem FSK-18-Sexappeal, sondern klar auf der Handlung. Zwar ist diese weniger ausgereift und diffuser als beim Vorgänger, aber die optische Umsetzung ist und bleibt abermals ein Meisterwerk.

Allein die Anzahl an guten Schnitten und interessanten Kameraeinstellungen haben Marvel & Co. in den letzten 20 Filmen nicht ansatzweise hinbekommen und von der generell einzigartigen Machart braucht man gar nicht erst reden. “Sin City 2: A Dame to Kill For” ist eine logische Fortsetzung, die dem wahren Charakter von Comics, der Einzigartigkeit aus Illustrationen, Sprech- und Denkblasen und sequenziellen Bilderfolgen so gerecht wird, wie es bisher keine andere Filmreihe geschafft hat. Ebenso ist es eine offensichtliche Hommage an die goldenen Anfänge des Comiczeichnens, eine Verneigung vor skurrilen Typen zwischen Sex und Kriminalität und eine Ehrung des dunklen Film Noir. Antihelden für Nerds sozusagen.

© Geschrieben für Mit Vergnügen, Foto von Dimension Films

18.09.2014

„Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ kommt auf den allgemeinen Frage-Hitlisten direkt nach „Was wollen wir trinken?“. Eine weitere unkaputtbare Fragestellung drängt sich im Zusammenhang mit dem unabhängigen Literaturvertrieb auf: „Wann ist ein Verlag ein Verlag?“. Dies und mehr bekommt Christoph, einer der großen helfenden Hände hinter Christian Ludwigs bisherigem Schaffen, vor genau jene geworfen.

Christoph, die Frage muss doch einfach kommen: Wofür steht Lieblingsempire 2014?

Für das, was es schon immer stand: “Alles kann, nichts muss!” Je nach Gesprächspartner sind wir mal eine Onlineagentur, mal Verlag, mal Spielwiese.

Was sind die Vorteile der „alternativen Buchveröffentlichung“?

Ein höherer Lerneffekt, tieferere Markteinblicke, direkte Resonanz und mehr Bewusstsein für Geld. Aber auch ebenso viele Nachteile.

Das ist bereits die vierte Veröffentlichung mit Christian Ludwig, inwieweit war die Herangehensweise an das Projekt „Moritz & Ivahn“ anders als bei den vorhergehenden?

Im Großen gar nicht, im Kleinen hoffentlich ohne frühere Fehler.

Inwieweit ist das Buch ein Gemeinschaftsprojekt?

Es gibt verschiedene Menschen für verschiedene Aufgaben.

Ein Roman, progressiv und doch in einem passenden Gewand. Welche visuellen Eckpunkte waren bei der Umsetzung zu beachten?

Dass es für uns am Ende Sinn macht.

Fasse die Geschichte doch mal kompakt in fünf Worte zusammen.

Zwei Männer, eine Frau. Gemütsbewegungen.

Ohne was kommt ein „Sommerroman“ nur bedingt aus?

Farben.

Foto: Christian Ludwig

16.09.2014

A Most Wanted Man

Es ist wahrscheinlich nicht die stärkste Szene des Film, aber sie bringt es auf den Punkt: Geheimdienstagent Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman), der eine inoffizielle Anti-Terror-Abteilung leitet, muss mit seinem Team zum Rapport in einen gläsernen Besprechungsraum ins Bundesministerium des Innern. Ihm gegenüber sitzen eine Kollegin der CIA, mehrere Minister, Agenten und weitere scheinbar wichtige, aber ganz bewusst namenlose Mitarbeiter und Entscheider. Bachmann wirkt konzentriert und überzeugt, trotz allem aber sehr nachdenklich. Dann die Frage der CIA-Mitarbeiterin, was das konkrete Ziel seiner Operation sei. Bachmann antwortet spitzfindig: “Die Welt ein bisschen sicherer machen.” Er lächelt zufrieden. Es ist das erste und einzige Mal.

Gerade im Kontext der Geschichte des Films, der Art und Weise wie beobachtend kühl sie gedreht wurde, aber auch der seit Jahren politisch äußert instabilen Lage in vielen Teilen des nahen und mittleren Ostens und den immer noch aktuellen Enthüllungen der Arbeitsweisen von Geheimdiensten rund um den Globus, ist dieser Satz die pointierte Ironie der Historie. Besonders seit dem 11. September 2001. Natürlich ist die gleichnamige Romanvorlage von John le Carré nur ein fiktiver Spionagethriller um die “Hamburger Terrorzelle”, aber doch kann er als Blaupause für die Entwicklung der Welt nach diesem Tag gesehen und interpretiert werden. So gerät der russisch-stämmige Tschetschene Issa Karpov ins Visier der Ermittlungen, die Hintergründe bleiben aber im Dunkeln und er wird vielmehr einfach nur zum Spielball der verschiedenen Parteien. Gleiches passiert mit der idealistischen Strafverteidigerin Annabel Richter, bei der die Grenze zwischen Opfer und Täter ebenso verschwimmt. Beide sind nur Mittel zum Zweck.

Interessant wird der Teufelskreis, schaut man sich diesen Zweck genauer an. Denn im Grunde hat jede Person ihre ganz eigenen Absichten sowie unterschiedlichste Interessen und Ziele. Keiner traut irgendwem, alle bespitzeln sich gegenseitig und operieren gegeneinander. Das kommt einem aus der Realität sehr bekannt vor. Und genau hier liegt auch die unglaubliche Stärke von Anton Corbijn Verfilmung, der als Fotograf nicht nur ein Auge für stimmungsschwere Bilder hat und den mittlerweile verstorbenen Philip Seymour Hoffman schauspielerisch glänzend in Szene setzt, sondern eben auch ein nüchternes Bild der permanenten Angst und des Misstrauens zeichnet, die unsere Politik seitdem bestimmen. Jeder arbeitet für irgendwen, alle sind Marionetten. Keiner wird gewinnen.

© Geschrieben für Mit Vergnügen, Foto von Senator

11.09.2014

Ein Projekt mit solch einem Männerüberschuss wie im Falle „Moritz & Ivahn“ braucht seinen zurückhaltenden Ausgleich: Sophie Nickolai. Ja, sie war dabei, interessiert und mit dem schönen Gesicht vor der Kamera, dass sie in das Fototrio beförderte – das große Fragezeichen wurde Sophie jedoch weder kaffeerührend in Kreuzberg noch ohrenflüsternd im Bucher Forst los. Wir haken nach.

Sophie, was waren deine ersten Gedanken bei der Anfrage zur Mitarbeit am Buch?

Erste Gedanken sind ja meistens ziemlich wirr, aber es war wohl eine Mischung aus „kann man mal machen“ und „das ist bestimmt nichts für mich“.

Du kanntest nur eine grobe Zusammenfassung des Inhalts, was hat dich dennoch überzeugt?

Eindeutig: Christians Charme. Und der versprochene Kaffee.

Gibt es deinerseits denn Vorerfahrungen im Vor-der-Kamera-Stehen?

Nichts, was über semiprofessionelle Schulprojektfotos und unscharfe Partybilder hinausgeht. Ich steh lieber neben der Kamera. No Selfies!

Bei der Figur Anna hast du aktuell welches Bild im Kopf?

Leider immer noch nicht mich. Überhaupt ist Anna die Figur, unter der ich mir am wenigsten vorstellen konnte. Sie wirkt auf mich sehr ambivalent.

Gehören Fotostrecken denn überhaupt in einen Roman bzw. gab es nicht schon genügend Foto-Love-Stories?

Das sollte der Aufbau des Romans und der ästhetische Anspruch an ihn entscheiden. Begleitende Fotos beeinflussen unweigerlich die Vorstellungskraft des Lesers, dessen sollte man sich bewusst sein.

Nenne mir drei Dinge, die für dich unweigerlich in einen „Sommerroman“ gehören.

Sonne, Strand und gute Laune. Just kidding.

Achtung, alberne Gender-Frage: Deine Meinung zu dem alten Vorwurf, Happy Ends wären einst für Frauen erschaffen worden …?

Happy Ends wurden von Walt Disney erschaffen, und mit dem ist ja wohl jeder unweigerlich aufgewachsen.

Foto: Joseph Wolfgang Ohlert

02.09.2014

Jacobo Labella. Ein Name wie ein Gedicht, das muss vorab schon mal festgehalten werden. Gleich danach kommt aber die faszinierende Arbeit des Grafikdesigners, die länger schon als ausgesprochen passend für die Atmosphäre von „Moritz & Ivahn“ auserkoren war.

Jacobo, Berlin is a huge jungle for artists, but is it a good place for being creative or more a melting pot for distractions and to speak about what you can do (but never will)?

I think Berlin is kind of both. At first is more like a melting pot for distractions, but is up to you trying to don’t get lost.

What exactly do you do?

I do art direction, graphic design and Illustration. I´m trying to focus just in illustration lately.

What did you think when the request for the collaboration for „Moritz & Ivahn“ came?

It was a nice project. A good opportunity to work again with books.

It’s not the first time for you doing illustrations for a book. How is the process to do it, especially when you just know the summary of the story?

It is not the first time. I did some illustration for a poetry book two years ago. Well just with the summary is harder, i start thinking about how the character should look, kind of a casting and then the composition and colors. The sketch sometimes change, I have not everything close since the beginning.

What are the the things you are influenced by mostly for your work?

Music, fashion, films, books.

Is it really important for a book to have a nice look?

It always helps to sell it I think. Nowadays people also buy books as a decoration object. Inside is more important of course, but why don´t try to have also a nice look?

Have you ever tried a piece of red pear cake?

No never, and I’m looking forward. I love cakes and pears.

Und verlieben darf man sich virtuell gerne, mehr von Jacobos Schaffen ist nämlich hier zu bewundern: www.jacobolabella.com

Foto: Christoph Schwarze

26.08.2014

Er schrieb an, kam, sah und posierte: Marcel Danner war ein zufälliger Glücksgriff für die Portrait- und Fotostrecke des Buches. Mit Spaß und Euphorie dabei, das sieht man gerne.

Wie kam die Zusammenarbeit am Buch zustande und was hat dich daran gereizt?

Das war lustig. Ich habe spontan auf einen Facebook-Post reagiert, von dem Christian im Nachhinein irgendwie gar nichts wusste: „25-jähriger Typ, dunkelhaarig mit Bart und Brusthaar für Verbildlichung eines Romans gesucht“. Ich schrieb eine kurze Mail mit Fotos: „Hallo, ich denke, ich bin genau derjenige, den du suchst!“ Zack Boom. Christian antwortete mir gleich am nächsten Tag.

Du kanntest nur eine Zusammenfassung der Geschichte, was ist dennoch das Grundgefühl, das du von „Moritz & Ivahn“ hast?

Ich steh auf verzwickte Dreier-Geschichten! Triangle und so!

Macht es überhaupt Sinn einen Roman zu bebildern?

So, wie wir es machen, finde ich es gelungen. Die Fotos sind nicht zu konkret, lassen sich aber dennoch klar in gewisse Momente der Geschichte einordnen, das gefällt mir. Und es ist ja keine Bravo-Foto-Lovestory!

Das Buch könnte unter anderem als eine Ode an das Ausbrechen aus dem Alltag und das Zurückziehen aus dem gesellschaftlichen Trubel gesehen werden. Was hält dich selbst in einer Großstadt wie Berlin?

Genau dieser Trubel, den mag ich.

Hast du denn in Zukunft das Bestreben mehr vor der Kamera zu stehen oder war das eher Abwechslung für dich?

Ich genieße es, vor der Kamera zu stehen, deshalb sage ich nicht nein, wenn ich gefragt werde. Gute Bilder sind immer eine schöne Sache.

Wie könnte die Dekoration zur Veröffentlichung des Buches denn passenderweise aussehen?

Weiße Bettlaken und Sand!

Der Klub, der in der Geschichte eine wichtige Rolle spielt, nennt sich „Reissbrett“. Nenne drei Dinge, wie du dir den Laden vorstellst?

Holzig, dunkel, angesagt.

Foto: Joseph Wolfgang Ohlert

16.08.2014

Die These ist steil: Der Mensch nutzt nur 10 Prozent der Leistung seines Gehirns. Albert Einstein soll das irgendwann mal gesagt und direkt angefügt haben, dass es dann bei ihm wohl 11 Prozent seien. Im Berliner Nachtleben sind es wahrscheinlich weitaus weniger, bei Delphinen angeblich 20 Prozent. Wissenschaftlich belegt ist das natürlich nicht, aber das kümmert den Mythos nicht. Der lebt weiter und wird sogar verfilmt.

So soll Lucy (Scarlett Johansson) im gleichenamigen Film für ein paar Drogenhändler eine geheime Substanz, die aussieht wie neonblauer Bubble Tea, ins Ausland schmuggeln. Doch das geht erwartungsgemäß schief, da das Drogenpaket im Bauch platzt und fortan entwickelt Lucy Superkräfte – weil sich die Auslastung ihres Gehirns kontinuierlich bis auf 100 Prozent steigert. Fast beneidenswert.

Das ist natürlich witzig und kann durchaus praktisch werden, wenn man bei 15 Prozent schon doppelt so schnell lesen könnte, mehr hört, weniger Regenerationszeit nach der durchzechten Nacht braucht und sich endlich mal alle Punkte der Aufgabenliste merken kann. Ab 20 Prozent kann man Gedanken von anderen Personen lesen, bei 40 diese dann auch beeinflussen und steuern. Und so weiter und so fort …

Was aber Luc Besson, dessen beste Filme mit „Léon – Der Profi“ und „Das fünfte Element“ auch bereits fast 20 Jahre zurück liegen, aus der ohnehin schon dünnen Annahme macht, wird nicht besser: Charakterlose Darsteller, bei denen sogar Morgan Freeman nur Bauklötze staunen darf, ein paar wilde Schießereien und natürlich eine Verfolgungsjagd im Auto über die Fußwege von Paris. Lange nicht gesehen! Selbst Scarlett Johansson rettet nicht viel und geht im gehetzten Tohuwabohu ihrer bewusstseinserweiternden Fähigkeiten unter, aber das war bei fragwürdigen Rollen in „Iron Man 2“ oder „The Avengers“ ja nicht anders.

Je länger der Film dauert, desto hanebüchener wird das ganze Spiel: der pseudowissenschaftliche Ansatz wurde für ein paar Kugelwechsel vollends gestrichen, ebenso wie jene möglichen kreativen Gedankenspiele, was angeblich alles machbar wäre, würden wir die restlichen 90 (!) Prozent unserer grauen Masse doch noch einschalten. Aber so lösen wir uns scheinbar nur in heiße Luft auf. Passt ja!

© Foto von Universal Pictures

09.08.2014

The Purge: Anarchy

Man muss zugeben, das dystopische Gedankenspiel hat seinen Reiz, auch wenn man als überzeugter Pazifist maximal drei Mücken pro Jahr was zu Leide tut: Alle 12 Monate gibt es eine Nacht, “The purge night”, in der jegliche Gesetze von den “Neuen Gründervätern Amerikas“ außer Kraft gesetzt und somit alle Verbrechen – inklusive Mord – legalisiert werden. Nur ranghohe Regierungseamte dürfen nicht mit Mitleidenschaft gezogen und Schusswaffen höher als Stufe 4 nicht eingesetzt werden. Soweit das formale Regelwerk.

Im Film sieht das dann so aus: Um die Kriminalitätsraten und Arbeitslosenzahlen so niedrig wie möglich zu halten, soll sich die Gesellschaft ein­fach­heits­hal­ber selbst “säubern”. Je mehr Mob und Fußvolk also getötet wird, umso besser. Reiche verbarrikadieren sich zum Schutz hinter Hightechsystemen oder waschen sich auf die wohlhabende Weise rein, ohne sich dabei die Hände dreckig zu machen. Im Gegenzug ziehen Frustrierte, Rachesüchtige, Gewaltbereite und Anarchisten durch die Straßen der Städte und treiben ihr Unwesen. Blutig wird es allemal.

Soweit so unspannend aber auch. Was “The Purge 2: Anarchy” allerdings trotzdem interessant macht, sind völlig andere Sachen als die sehr konstruiert wirkende Geschichte des Films: Zum Beispiel die grandiose Inszenesetzung der Musik, ein paar wirklich gute Kameraeinstellungen, die an eine gewisse Ästhetik von zeitgenössischen Computerspielen erinnert und natürlich der Abspann, der die gesellschaftskritische Note des Films in zwei Minuten besser zusammenfasst als die 100 davor.

Klar, “The Purge” ist ein Horrorthriller für 16 bis 22-Jährige, aber die aufgeworfenen Fragen beschäftigen – wenn man sie unterschwellig findet – doch nachhaltig: Wer darf über Leben und Tod in unserer Gesellschaft bestimmen? Wo fängt Selbstjustiz an? Führt Anarchie wirklich zu Chaos, Gesetzlosigkeit und Gewaltexzessen? Für was brauchen wir überhaupt Waffen? Wie weit treiben wir unseren Sicherheitswahn noch voran? Gibt es totale Sicherheit überhaupt? Und wovor? Vor uns selbst? Und ist der Mensch eigentlich per se böse?

Antworten gibt es keine.

© Geschrieben für Mit Vergnügen, Foto von Universal Pictures

28.07.2014

Wir sind die Neuen

Morgen ist auch noch ein Tag

Mut zu mehr Müßiggang

Die 90er waren echt ein hartes Pflaster. Ich stand kurz vor der Pubertät, hatte tierische Angst vor dem Stimmbruch und den vielen Pickeln im Gesicht. Währenddessen hörte ich billigen Eurodance abwechselnd mit dem, was der Kommerz von Grunge noch übrig gelassen hatte und fand „Load“ von Metallica richtig krass. Dazu trug ich T-Shirts, die mir heute immer noch zu groß sind und versuchte, jeden Kleidungsstil mindestens einmal schlecht nachzuahmen. Doch Vorsicht, dabei bloß nicht zu sehr aus der Reihe fallen, der Spott auf dem Schulhof in der großen Pause hätte traumatische Nachwirkungen gehabt, weswegen ich mich nie an grün oder rot gefärbte Haare getraut habe. Das Leben zwischen 11 und 16 war ein Balanceakt.

Das Dumme war außerdem, dass ab dieser Zeit Entscheidungen langsam selbst getroffen werden mussten: keine Mutti mehr, die einem alles abnimmt. Besser wär‘s gewesen, ich hätte meine Klamotten jeden Morgen noch über den Stuhl gelegt bekommen, es hätte mir die ein oder andere geschmackliche Entgleisung erspart. Oder weiterhin das Pausenbrot geschmiert bekommen, statt sich vom Taschengeld mit Hilfe zu vieler Süßigkeiten die ersten Karies einzufangen.

In dieser Zeit, in der man scheinbar nur bedingt zurechnungsfähig war, fallen dann auch die größten Fehler, die man jetzt – knapp doppelt so alt – gerne revidieren würde. Und ich schweige ganz bewusst zum Thema der zweiten große Liebe nach der Sandkastenbeziehung. Nein, es geht ums Elementare fürs weitere Leben: Bildung. Gerne würde ich mal wissen, was mich damals geritten hat, Latein als zweite Fremdsprache zu wählen. Klar, ich habe das gewählt, was die besten Kumpels auch machten, aber eine gute Entscheidung war das trotzdem nicht. Oder der Leistungskurs in Mathematik, der sich als freiwilliger Gang in die Hölle entpuppte. Ganz zu schweigen vom Schwänzen der ohnehin raren Kurse zur Berufsvorbereitung, man hatte ja schließlich Besseres zu tun. Was auch immer das war.

Das Ergebnis war dann zwar ein bestandenes Abitur, doch das Wirrwarr wurde dann auf eine noch höhere Stufe gestellt, schließlich fragte jetzt jeder im engen und weiten Umfeld gefühlt alle fünf Minuten, was man denn jetzt so machen würde. Ja, keine Ahnung! Erstmal studieren! Warum? Na, weil der beste Kumpel das auch macht. Und was? Das was im Ausschlussverfahren übrig bleibt. Es ist verrückt, da geht man zwölf Jahre zur Schule, kennt sich bestenfalls bereits 18 Jahre selbst und dann sitzt man panisch über einem dicken Heft, in dem 5.000 Studiengänge scheinbar wahllos gelistet sind und das große Eiern geht wieder von vorne los. Wie schön waren doch die alten Zeiten, als schon weit vor der Geburt klar war, dass man in Papas Fußstapfen treten muss. Und die Fußstapfen von Opa, Uropa und dem Ururopa. Das hatte was Beständiges und Beruhigendes.

Doch die Zeiten heute sind nicht besser. Im Gegenteil. Ich meine, das war ja im Jahr 2000 schon der SuperGAU der Entscheidungsfähigkeit. Aber heute will ich auch keine 18 mehr sein. Turboabi, Schmalspurstudium in bestenfalls sechs Semestern – inklusive zweier Praktika in renommierten DAX-Konzernen, Auslandsaufenthalt, Erasmus, ehrenamtliches Engagement, Pipapo. Alles Pflichtprogramm. Hinzu kommen die täglichen Vergleiche mit Mitstudenten, die vielmehr alle Konkurrenten sind und von allem immer wesentlich mehr machen als man selbst: Noch bessere Noten haben als die 1,3, im zweiten Semester vorsorglich schon mal die Bewerbungen für die Unternehmensberatung fertigschreiben und noch ein kostenloses Praktikum mehr absolvieren. Kontakte sammeln und so.

Das Ergebnis und die Folgen sind gruselig. Lebensläufe werden austauschbar, Dinge nur noch für einen bestimmten Karrierezweck gemacht, Risiken rationalisiert und Tagesabläufe gleichzeitig optimiert. Und hat man im Juli mal zwei Wochen gar nichts gemacht, dann muss man sich für diese Lücke im Lebenslauf auch noch drei Jahre später beim Vorstellungsgespräch rechtfertigen. Sommer genießen, ein Buch lesen oder einfach mal am Strand rumkullern? Sowas geht ja gar nicht, wo kommen wir denn da hin?

Natürlich ärgere ich mich über die ein bis zwei Semester, die ich länger gebraucht habe als meine Konkurrenten, das aber nicht einmal wegen der Studiengebühren (habe ich durch Nichtkiffen ausgeglichen!), die bisher sträflicherweise als Argument für vieles außen vor gelassen wurden, sondern wegen der Rechtfertigungsspirale bei so ziemlichen allen Personen weltweit. Inklusive mir selbst. Doch das ist wie früher, ich kann mich jetzt ärgern und auch Französisch oder Spanisch hätte mir wesentlich „mehr gebracht“, aber Herr Gott, es kam im Laufe der Zeit eben anders.

Ja ja, die Zeit, sie ist ohnehin endlich, sie ist Geld und man sollte sie jeden Tag nutzen, um tausend tolle Dinge zu machen, um ein besserer Mensch zu werden, um Delfine zu retten. Aber vor allem – und das ist der Punkt – sollte einen die Zeit auch manchmal kreuzweise können! Wie gesagt, die 90er waren echt traumatisch und die 00er-Jahre ebenso und jetzt, 2014, ist auch schon wieder globale Krise an allen Ecken und Fronten: Banken, Rente, Arbeitsmarkt, Klima, EU und NSA. Und vor meiner Zeit war es sehr wahrscheinlich auch nicht besser und wenn ich erst 50 bin … Oh nein, lieber gar nicht erst dran denken! Vielleicht ist die Zeit sogar der größte Diktator, der uns alles befiehlt, dem wir alles unterordnen, der uns täglich ein schlechtes Gewissen macht und dem wir alles opfern: in den jungen Jahren unser Leben für ein paar überengagierte Karriereziele, weil der Arbeitsstatus in Westeuropa bekanntlich Identifikationsmerkmal Nummer eins ist. Und später, dann bekommen wir Panik, weil dieses oder jenes komplett auf der Strecke geblieben ist, auch wenn es monatlich ein fürstliches Gehalt für den Vorstandsposten gibt. Aber Freunde oder Hobbys sind rar geworden, weil die eigentlichen Ziele völlig aus den Augen verloren wurden.

Also einfach mal einen Gang runterschalten.

© Geschrieben im Auftrag von Mit Vergnügen für X Verleih AG

17.07.2014

Manche verkaufen einem einen Biber als Dachs, andere hingegen brauchen einem nichts vormachen – weil sie echt sind. Chris Phillips, Fotograf mit einer Fontäne an Ideen und Künstler mit Bodenhaftung, hat seine Kamera schnell und begeistert für “Moritz & Ivahn” bereit gehalten. Nach der Fotoreihe zwischen Feld und Bordsteinkante erhielt Chris ein paar lose Fragen, da können nur interessante Antworten folgen.

Chris, being an artist in Berlin – blessing or curse? And why?

Both. Although Berlin is still seen as a creative Mecca for many artists, the city is full of distractions and have a slow rhythm. I have seen a lot of people getting stuck in a nightlife fantasy or just enter a very unproductive mood. In general, the city is not competitive nor critical enough. But, at the same time, this also creates a very open and friendly environment to experiment and collaborate. So it is definitely a great city to find yourself as an artist.

What were the defining moments in your life to get a photographer?

When I was in high school. As a very shy teenager I found that photography would be not only a way of expressing myself but also to connect with people online. Before the era of the popularization of smartphones I was already taking selfies with my cheap digital camera and sharing them online. It was when I saw I could have a voice.

What is the motive or the urge for your work?

Catharsis. Personally, it’s a way for me to deal with our my repressed issues and overcome it through art-making.

Skin seems to be a very important part of your photos. Why and where does it come from?

I was working as a fashion photographer when I realized that dressing people with their own skin is way more interesting than using their bodies as a marketing platform to promote brands. Fashion is ephemeral, while the skin is eternal. But still, full nudity is a impossibility. Nakedness is as fashion statement in itself and the body is a part of our culture. So I dress people with nudity.

Photo series in a novel – is this doable?

Yes, I think it is a way of materializing the words and creating a lead for the reader’s imagination.

What did you think when you were contacted for a cooperation for „Moritz & Ivahn“ and what do you think about it now?

I was very happy because it was a new challenge for me. And now I am really glad I could be a part of this collaboration, it is always good to work with people that are really passionate about what they do. I can’t wait to see the final result now!

Und wer von der Leidenschaft des Herrn Phillips mehr sehen möchte, sollte folgenden Link nicht scheuen: www.facebook.com/phillips.chris.phillips

© Foto: Christoph Schwarze

14.07.2014