Kapitalismus ist ein Drahtseilakt. Geld und Macht verändern einen Menschen, gerade in Krisenzeiten wird oft der wahre Charakter freigelegt. Freundschaften von einst bedeuten plötzlich nichts mehr, Beziehungen werden auf die Probe gestellt und Feinde werden zu Komplizen. Kapitalismus ist vor allem auch ein psychologisches Spiel an der Grenze der Legalität. Gerade im Jahr 1981 waren im rauen New York die Regeln auch noch andere: die Stadt versinkt in Korruption, Dreck und Brutalität. Mafiöse Strukturen bilden das wirtschaftliche Fundament und für viel und schnelles Geld wird auch vor Bestechung, Erpressung und Mord nicht Halt gemacht. So was wie ein Gewissen existiert nicht.
Die Hauptfigur ist Einwanderer und Heizölunternehmer Abel Morales (Oscar Isaac), der zusammen mit seiner Frau Anna (Jessica Chastain) verbissen am kapitalistischen Traum arbeitet. Doch der Markt ist umkämpft und skrupellos. Es werden dreckige Deals abgeschlossen, zwielichtige Grundstücksverkäufe abgewickelt und die Konkurrenten mit gezielten Attacken geschwächt. Abel Morales hingegen hat Moral, glaubt an fairen Wettbewerb und respektiert die Gesetze – was im Brooklyn von damals reichlich naiv ist. Genau das erkennt er auch und verliert im Kampf um den bedingungslosen Erfolg zusehends sein Gesicht: er wird kaltherzig, verwickelt sich ebenso in krumme Geschäfte und wird schlussendlich auch Blut an seinen Fingern haben.
Regisseur J. C. Chandors gelingt es dabei genau diese Vielschichtigkeit zu zeigen: In einem System, das sich Kapitalismus nennt, gibt es eben nicht nur die Guten und auf der anderen Seite die Bösen. Es ist vielmehr ein Geflecht, in dem Ideale an der harten Realität scheitern und so lange vertuscht und gemauschelt wird, bis die Gewinne sprudeln – Egoismus auf allen Ebenen. Die Polizei, die Justiz und der Staat spielen dabei keine bedeutende Rolle und sind vielmehr nur machtlose Zuschauer, die sich dem Geld unterordnen. “A Most Violent Year” kann somit auch gern als subtile Kritik gesehen werden, selbst wenn nie der Zeigefinger gehoben wird, Gewalt in den Bildern nur angedeutet wird und schlussendlich fast alle Hintergründe im Dunkeln bleiben. Die kapitalistisch Welt ist eine harte. Damals und heute.
© Geschrieben für Mit Vergnügen, Foto von Atsushi Nishijima / A24 / SquareOne